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Regionaler Eigensinn und die Herausforderungen der Moderne: Loyalitäten, Identifikationen und ethnische Zuschreibungen im Teschener Schlesien (Mitte 19. bis Mitte 20. Jahrhundert)

Das Teschener Schlesien steht exemplarisch für das Problem, die Geschichte einer europäischen Grenzregion jenseits nationaler Meisternarrative zu erzählen. Auf eine jahrhundertealte Kontinuität zurückblickend, unterlag das schlesische Herzogtum Teschen seit dem 19. Jahrhundert einer rapiden Industrialisierung, Migration und Verstädterung, die die sozialen und politischen Verhältnisse im Land nachhaltig veränderten. Das Teschener Schlesien rückte in den Fokus gleich dreier nationaler Bewegungen: der tschechischen, der polnischen und der deutschen. Von Seiten protschechischer bzw. propolnischer Akteure wurden Forderungen laut, das österreichische Kronland Schlesien, zu dem Teschen gehörte, nach „ethnischen“ Kriterien neu zu ordnen bzw. ganz aufzulösen. Diese Aspirationen blieben jedoch nicht unwidersprochen: Insbesondere in der Form eines schlesischen Regionalismus, der sog. Schlonsaken-Bewegung, wandten sich große Teile der Bevölkerung des Landes gegen eine nationale Vereinnahmung und insistierten auf die Eigenständigkeit eines schlesischen Volkes, das vielsprachig und multikonfessionell sei. Diese Disposition „nationaler Indifferenz“ (Tara Zahra) hielt sich im Teschener Schlesien über die Katastrophen des 20. Jahrhunderts hinweg und hat gerade nach der Wende von 1989 eine gewisse Wiederbelebung erfahren. Nichtsdestotrotz ist das Teschener Schlesien heute als politisch-administrative Einheit verschwunden, zwischen Polen und Tschechien aufgeteilt, bleibt aber in der Erinnerungspolitik lebendig.

In der Geschichtswissenschaft wurde das Teschener Schlesien bislang meist am Rande behandelt. Die deutsche und polnische Forschung konzentrierte sich auf den deutsch-polnischen Konflikt um Oberschlesien, wohingegen die tschechische Seite im Teschener Gebiet meist nur ein Anhängsel Mährens erblickte. Erst in jüngerer Zeit hat sich eine trilaterale Forschungsperspektive etabliert. Dabei fehlen jedoch Ansätze, nationale Indifferenz nicht länger als Übergangs- und Randphänomen zu betrachten, sondern als Untersuchungsgegenstand eigenen Rechts. Ziel des Projektes ist es daher, die Begrenztheit nationaler Entwürfe und die Konstruiertheit ethnischer Kategorien, die ihnen zugrunde liegen, am Beispiel des Teschener Schlesiens aufzuzeigen. So soll ein Beitrag dazu geleistet werden, auch anationale Positionen als Teil der europäischen Moderne zu begreifen.