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'Geteilte' Welten. Intellektuelle Begegnungen im späten Kalten Krieg

Der Intellektuelle ist tot! Ganz in Sinne dieser 1983 von Jean François Lyotard aufgestellten Behauptung befasst sich die jüngere Zeitgeschichte kaum mit Intellektuellen, wenn sie den politischen, sozialen wie weltanschaulichen Umbrüchen der 1970er und 1980er Jahre nachspürt. Dabei verweisen nicht nur die zeitgenössischen Diskussionen um die Rolle und das Schicksal von Intellektuellen in den Medien, dass sie ihre Funktion als Projektionsflächen für gesellschaftliche Selbstverständigungsprozesse keineswegs eingebüßt hatten. Auch als Akteure fanden sich Intellektuelle wiederholt zwischen den Fronten politischer und sozialer Auseinandersetzungen des späten Kalten Krieges wieder – sei dies als ‚Staatsfeinde‘, die sich Hausdurchsuchungen oder Zwangseinweisungen in die Psychiatrie ausgesetzt sahen, oder als Aktivisten, die Politiker berieten, mediale Aufmerksamkeit provozierten oder sozialen Bewegungen ein Gesicht verliehen. In einer Zeit, in der die Krise der globalisierten Märkte nahezu überall Fragen nach der Zukunft aufwarfen und sich zugleich die Kontakte zwischen Nationen und ‚Blöcken‘ verdichteten, waren es oft Intellektuelle, die zwischen den ‚geteilten Welten‘ des späten Kalten Krieges, aber auch dem ‚alten‘ und dem ‚neuen‘ zu vermitteln suchten.

Damit sind Intellektuelle in besonderem Maße ‚Seismographen des Wandels‘. Diesen Wandel untersucht das Projekt in transnationaler Perspektive anhand von Begegnungen zwischen führenden Intellektuellenfiguren der 1970er und 1980er Jahre sowie deren mediale Auslegung und gesellschaftliche Rezeption. Im Fokus stehen dabei sowjetische Dissidenten und ihre (vermeintlichen) Mitkämpfern und Unterstützer in den USA, der BRD und Frankreich. Mal als ‚neue Revolutionäre‘, mal als ‚Märtyrer‘ und ‚Propheten‘ gepriesen sahen sich vor allem exilierte Dissidenten neben dem kaum abnehmenden Interesse an ihrer Hafterfahrungen mit recht unterschiedlich gelagerten Erwartungen, Vorurteilen und Hoffnungen konfrontiert. Doch während politische Grenzziehungen und Dichotomien, Vergangenheit und Zukunft sowie die ideellen, wirtschaftlichen und sozialen Grundlagen menschlichen Zusammenlebens in der Dissidentenszene ebenso diskutiert wurden wie im ‚Westen‘, hatten Dissidenten im Exil mit ihren Einlassungen und Ideen zu diesen Fragen sehr unterschiedlichen Erfolg. Die Übersetzbarkeit, die Missverständnisse und die Medien, die das geistige wie physische Aufeinandertreffen von ‚Ost‘ und ‚West’ prägten, verweisen nicht nur auf die umfassende Neuverhandlung von Identitäten und Ideen, sondern markieren neben nationalen Spezifika auch grenzübergreifende Verflechtungen von Selbstverständigungsprozessen. Mit der Untersuchung ‚geteilter‘ Wert- und Weltvorstellungen im Modus der intellektuellen Begegnung möchte das Projekt jenseits der bloßen Sprachkonvention zu einer im weitesten Sinne europäischen histoire croisée des späten 20. Jahrhunderts beitragen.

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