Sammlung Macht Revolution. Museale Praxis in der Sowjetunion 1917-1941
Mit der Revolution 1917 wollten sich die Bolschewiki von der Vergangenheit befreien, um eine neue, in ihren Augen gerechtere Welt zu erschaffen. Doch kamen sie schnell zu der Einsicht, dass dies ohne die Hereinnahme und Umdeutung der überkommenen Traditionen nicht zu bewerkstelligen war. Die Institution des Museums galt ihnen dabei als eine der wichtigsten Plattformen, auf der die Neuausrichtung des Verhältnisses zwischen Alt und Neu am anschaulichsten aufgezeigt werden konnte. Gerade das Kunstmuseum, das durch den Louvre den Urtypus des modernen und zugleich des revolutionären Museums darstellt, spielte dabei eine herausragende Rolle. In Russland übernahm die Tret’jakov-Galerie nach 1917 diese repräsentative Aufgabe, was allerdings kaum bekannt ist. Ich möchte in diesem Projekt daher herausarbeiten, welche Bedeutung das revolutionäre Kunstmuseum in der Sowjetunion in den 1920er und 1930er Jahren besaß. Im Fokus steht die Frage, auf welchem Weg die musealen Technologien des Sammelns, Ordnens und Ausstellens von Kunst unter dem neuen Regime aufgewertet wurden und wie diese Technologien Anwendung und Aufnahme fanden.
Die Tret’jakov-Galerie war auch deswegen von enormer Bedeutung, weil sie maßgeblich dafür verantwortlich war, der neuen zeitgenössischen Kunst eine Form zu geben. Ihr wurde nicht nur die Aufgabe übertragen, eine neue Kunst, sondern auch eine neue visuelle Kultur einzusetzen. Sie besaß die Autorität, das richtige Sehen und Betrachten von Kunst zu institutionalisieren. Die Tret’jakov-Galerie setzte daher nicht nur die neuen Standards dafür, wie man eine grundbürgerliche Institution in eine sowjetische Einrichtung umwandelte. Sie erneuerte vor allem das Kunstverständnis, indem sie den neuen Kunstkanon erarbeitete.
Ich möchte in meiner Arbeit das russische Kunstmuseum in einen breiteren Kontext setzen. Damit sowohl die Kontinuitäten als auch die tasächlichen Brüche genauer bestimmt werden können, bilden die Jahrzehnte zwischen 1900 und 1940 den Untersuchungszeitraum. Gefragt wird nach den unterschiedlichen Akteuren, die am Aufbau des neuen Kunstmuseums beteiligt waren, aber vor allem nach den Praxen, die das Kunstmuseum von Grund auf konstituierten. Damit lassen sich die vielschichtigen Prozesse beschreiben, die nach 1917 das Verhältnis zwischen Gesellschaft und Kunst neu austarierten.